Kein Abschiebebahnhof für schwache Schüler

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"Eine Reform des dreigliedrigen Schulsystems ist überfällig, die Hauptschule in ihrer derzeitigen Form hat keine Zukunft mehr", waren sich am Wochenende der bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, MdL Dr. Frank Mentrup, und Ute Kratzmeier von der GEW Baden-Württemberg auf dem Podium im Hotel "Zur Pfalz" einig. Die Dreigliedrigkeit passe auch deshalb nicht mehr in die heutige Zeit, weil sie die Drei-Klassen-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts reflektiere, so ein Fazit der SPD Bereichskonferenz Rhein-Neckar, die Mentrup und Kratzmeier zum Gedankenaustausch nutzten.

Angesichts der Tatsache, dass im Durchschnitt nur jeder fünfte Hauptschüler am Ende seiner Schulzeit einen Ausbildungsplatz bekomme – bei den Werkrealschülern liegt die Quote bei rund 41 Prozent, bei Realschülern bei 39 Prozent –, handele es sich keineswegs um ein von den Medien hervorgerufenes "Imageproblem" dieser Schulart, sondern um ein "real existierendes Problem", übte Dossenheims SPD-Ortsverbandsvorsitzender Fred Hermann als Moderator der Diskussion Kritik an entsprechenden Aussagen des Kultusministeriums.

Die Notwendigkeit sowohl einer Schulstrukturreform als auch einer Schulentwicklungsplanung verdeutlichte Ute Kratzmeier: "Bei diesem Thema hält es kaum jemand auf dem Stuhl". Ohne rasche Reformen bleibe die Hauptschule ein Abschiebebahnhof für schwache Schüler. Die sich häufenden negativen Schlagzeilen nicht zuletzt mit Blick auf die zunehmende Gewaltbereitschaft unter Schülern seien ein zusätzliches Indiz dafür, dass "Grundlegendes" passieren müsse. "Die Krise der Hauptschule ist die Krise des gegliederten, sozial selektiven Schulwesens", machte die GEW-Sprecherin deutlich.

Die Hauptschule sei zudem nicht nur wegen der zurückgehenden Nachfrage keine "Haupt"-Schule mehr, sondern zudem pädagogisch im "Bildungskeller": Alle Reformen der Vergangenheit hätten ihre Akzeptanz sowohl bei Lehrern, Schülern und Eltern als auch "Abnehmern" nicht erhöhen können. Auf dem Weg zu "einer Schule für alle" verlange die GEW ein Sofortprogramm, in dessen Rahmen unter anderem der Klassenteiler auf 25 (in Städten auf 20) gesenkt wird, listete Kratzmeier ihren Forderungskatalog auf. Hauptschulen müssten auf erschwerte Lernbedingungen mit individualisierten Förderprogrammen antworten können und zu Ganztagesschulen in verbindlicher Form werden.

Um die Schließung von Hunderten von Hauptschulen aufgrund des Schülerzahlenrückgangs zu verhindern, müsse die Landesregierung überall dort, wo Schulträger es wünschten, integrative Lösungen ermöglichen. Und: "Für alle Hauptschüler wird ein zehntes Pflichtschuljahr eingeführt". Nicht zuletzt werde die GEW jeden Zwischenschritt zu "längerem gemeinsamen Lernen" unterstützen, machte sich Kratzmeier für die Einführung einer sechsjährigen Grundschule sowie unter bestimmten Voraussetzungen für den Zusammenschluss von Haupt- und Realschulen zu "Regionalschulen" stark. Ein bloßes Zusammenlegen von Schulen unter Beibehaltung der Schularten oder einer internen Differenzierung lehnte Kratzmeier ab. Das Wahlverhalten der Eltern richte sich eindeutig gegen die Hauptschule, redete Mentrup Klartext. Nur acht Prozent der Erziehungsberechtigten stellten sich den Hauptschulabschluss als erstrebenswer-tes Ziel ihrer Kinder vor. Im Rahmen ihrer Bildungskampagne "Bildungsaufbruch" wolle die SPD alle Interessierten in einem "Innovationsnetzwerk" zusammenbringen, damit Bildungspolitik aktiv "von unten" mitgestaltet werden könne und sich an den Bedürfnissen vor Ort orientiere, so Mentrup. "Wir wollen Reformschritte entwickeln, die nachhaltig sind, die vor Ort passen und die dauerhaft zu gleichen Bildungschancen und besserer Bildung für alle führen". Flickschusterei und die Missachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse dürften nicht länger toleriert werden.

Rhein-Neckar-Zeitung - 8. Mai 2007